„Ich will unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein“
                                                                   Hes. 37, 27

Wenn man auf einer Wanderung aus dem Wald ins Tal herabsteigt und das nächste Dorf sucht, kann man sich oft am Kirchturm orientieren: Mitten im Dorf wurden einst die Kirchen gebaut, oder eher die Dörfer um die Kirchen herum. Hoch über die Gehöfte ragt der Kirchturm auf und markiert weithin sichtbar den Mittelpunkt. Auch in Dörfern, wo nur noch selten oder gar nicht mehr Gottesdienst gefeiert wird, hängen die Leute an ihren Dorfkirchen, gründen Initiativen zur Rettung und Renovierung der alten Gemäuer.

Eine Umnutzung, etwa als Kino oder als Supermarkt, wird empört abgelehnt: Die Kirche bleibt im Dorf. Unausgesprochen schwingt da etwas mit, was man nicht sagen kann oder nicht sagen will: Gott soll hierblieben. Die DDR-Behörden rissen gelegentlich demonstrativ Kirchengebäude nieder. Die amtlichen Begründungen waren gewunden, die unausgesprochene Botschaft war eindeutig: Hier soll kein Gott mehr wohnen.

Im alten Israel, in dem der Priestersohn Hesekiel vor mehr als 2600 Jahren aufwuchs, kannten alle Pilger den heiligen Schauder, die Gänsehaut in jenem Augenblick, wenn sich nach dem langen Aufstieg durch die staubige Hügellandschaft vor den Wanderern weiß und golden der Tempel über den niedrigen Lehmhäusern Jerusalems erhob: der Ort, an dem Gottes Name, Gottes lichtstrahlende Herrlichkeit, wohnt – für die Israeliten der Mittelpunkt der Welt, ja des ganzen Kosmos. Dagegen waren für die Großmächte der Zeit das kleine Königreich Juda und seine Hauptstadt nur unbedeutende, störende Flecken auf der Landkarte der großen Weltpolitik. Im Zuge einer imperialen Flurbereinigung ließ der babylonische Herrscher Nebukadnezar den Kleinstaat beseitigen, den Tempel zerstören, Adel und Priester nach Babylon deportieren. Die Symbolik war klar: Es sollte kein Volk mehr geben, und der Gott Israels sollte keinen Ort mehr haben, wo er wohnen kann. In der Trostlosigkeit des Exils erlebt Hesekiel seine Berufung zum Propheten. Seine Botschaft gipfelt in einem gewaltigen Bauplan für einen neuen Tempel, größer und prächtiger als zuvor. Im Heiligtum werde ein Wasserstrom entspringen, der das dürre Land in einen Garten verwandelt. Dann wird Jerusalem, so schließt das Hesekiel-Buch, einen neuen Namen erhalten: „Hier wohnt Gott“.

Später wurde in Jerusalem tatsächlich wieder ein Tempel für den Gott Israels gebaut, aber so bescheiden, dass er an die gewaltigen Baupläne der Visionen Hesekiels bei weitem nicht heranreichte. Und keine Spur von einem Strom lebendigen Wasser aus dem Heiligtum. Wo wohnt Gott? Man kann weite Teile der biblischen Schriften als Diskussion dieser Frage lesen. Die radikalsten Antworten finden sich im Neue Testament: Gott wohnt nicht in Gebäuden, die von Menschen gebaut werden. Gott ist nicht im Tempel, sondern bei den Menschen. Wir können nicht zu ihm hin pilgern, sondern er ist auf dem Weg zu uns. Er ist mitten unter den Wanderern, bei Jesus und denen, die sich mit ihm auf den Weg machen. Das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes, enthält in den Schlusskapiteln eine eigenwillige Auslegung der Vision des Hesekiel. Das Bild, mit dem Johannes das Ziel alles Handelns Gottes mit den Menschen beschreibt, ist der Bauplan einer Stadt des Friedens, in der Platz für Menschen aus allen Völkern ist. In dieser Stadt wird es überhaupt keinen Tempel mehr geben. Gott wird einfach da sein.

Ich sehe mir gerne alte oder architektonisch schöne Kirchen an, ja auch Moscheen und Synagogen, auch wenn ich mir nicht vorstelle, dass Gott dort mehr zuhause ist als an irgendeinem anderen Ort. Ich stelle mir vor, dass er auch gar nicht die Zeit dazu hat, in einem ehrwürdigen Gebäude fernab vom Trubel, vom Alltag, vom Leid der Menschen zu sitzen oder zu schweben und zu warten, dass die Leute zu ihm kommen. Er ist ständig unterwegs, um Menschen zu suchen und zu ihnen zu kommen: Wo Menschen sich vom Evangelium anreden lassen und ihr Leben neu wird, ist Gott nahe und ist am Werk. Wo der Glaube Menschen zu Brüdern und Schwestern werden lässt, da wirkt und ist er mitten unter ihnen. Wo in Jesu Namen das Brot gebrochen wird und der Kelch geteilt wird, ist er da, schon jetzt, da wir noch auf dem Weg sind: Mitten unter den Menschen.

MA1117 Kirche SK

Prof. Dr. Dr. Martin Rothkegel / Theologische Hochschule Elstal

Vernetzt im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) in Deutschland K.d.ö.R.

Wir sind Mitglied im Bund Evangelisch Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland K.d.ö.R.



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